Gott, muss das ein langweiliger Job sein *Blip*
Ständig Ware über den Scanner schieben *Blip*
Abkassieren *Blip*
Kunden “Guten Tag” und “Auf Wiedersehen” sagen *Blip*
Frau Müller weiß das.
Frau Müller, die nur hier Müller heißt, hasst das.
Sie kennt den Job zu Zur genüge. Sie ist meine Kassiererin im Supermarkt der Vorhölle. Sie ist Herrscherin über die Gleichgültigen und Wertlosen, die sich drängeln, um an ihr Vorbei nach Hause zu dürfen, mit ihren Waren, die sie sich eiligst abends zusammengeklaubt haben aus den schlecht sortierten Regalen, die nur noch heimwollen. Frau Müller weiß um ihre Macht. Sie zelebriert mit jeder Bewegung, aus der tiefste Verachtung und Hass auf die schlangestehenden Kreaturen strahlt, ihre Kraft. Sie entscheidet, wer vorbei darf.
*Blip*
“Gott ist hier viel los”, raunzt sie ins nirgendwo, während sie in Zeitlupe nach dem nächsten Objekt, einer Packung Eier, greift. Sie öffnet die Packung, dreht jede Ovalität einmal um, um scheinbar zu kontrollieren, ob diese noch ganz sind. Sie stellt das Objekt auf das Band. Starrt den Karton 5,8 unendliche Sekunden an. Greift ihn wieder auf, lässt ihn über den Scanner schweben.
*Blip*
Ich starre sie an, doch es passiert nichts. Nichts geht schneller. Ich starre auf mein Handy. Ich kaufe mir die ePaper-Ausgabe des Spiegels. *Blip* Ruhig, denke ich mir, ruhig. Es hat keinen Sinn, sich aufzuregen, denke ich mir. Es geht dadurch nicht schneller, sage ich mir, dabei innerlich brodelnd. Ich beginne, den Leitartikel des Spiegels zu lesen. *Blip*
“Ich brauch Wechselgeld” röhrt es kreischend durch den Markt. Frau Müller ist fertig mit Blippen. Die Schlange dehnt sich bis zur Unendlichkeit hinter mir aus. Frau Müller hat kein Wechselgeld mehr. “Ich bin fast blank”, schreit sie. Deshalb ist sie auch Supermarkt-Kassiererin geworden und arbeitet auch nicht bei einer Bank, denke ich mir, denn wegen solchen Sätzen sind schon ganze Wirtschaftssystem zusammengebrochen.
Nichts passiert.
Es ist drückend heiß. Vor Wut kochende Menschen können eine ganze Menge Hitze erzeugen, denke ich mir, nachdem ich den Spiegel-Leitartikel durchgelesen habe. Ich überlege, ob es sich lohnt, wahrheitsgetreu ein Erlebnistagebuch zu führen über dieses Erlebnis, verwerfe es aber. Zu uninteressant für die Leser.
Plötzlich, aus der Ferne, taucht, dunkle Schatten auf die Avocado-Kiste werfend, eine Gestalt auf. Schwer stapft sie vorbei, denen sofort jegliche Farbe aus der Haut entweicht, ächzt den 15 Meter langen Gang entlang. Die Bäckerdame schnauft heran, direkt auf Frau Müllers Kasse zu. Ich hoffe schon, vermisse das Blippen, vermisse, mich Zentimeterweise vorarbeiten zu dürfen.
“Wie viel brauchst du?” fragt sie Frau Müller. Erstaunt stelle ich fest, dass beide Zwillinge sein könnten, oder eher Godzilla gegen den Monster-Roboter. “Ich bin total leer”, ruft die Kassiererin. Sie meint das nicht metaphysisch, ergänzt: “150 Euro, einmal voll bitte!” Frau Meier, die Dame von der Bäckerabteilung, schnauft zurück, dreht sich um, walzt vorwärts.
Und ich wollte doch bloß eine Pizza kaufen, denke ich, während ich den Wirtschafsteil des Spiegels erreiche. Frau Meier kehrt zurück, ächzt unter der Last der Münzrollen. Ich glaube zu spüren, wie der Boden vibriert. Ich öffne Google, suche einen Artikel im Netz, warum es sich nicht lohnt, es eilig zu haben, es nichts bringt, sich aufzuregen. Ich lese ihn durch. Was könnte ich auch sonst alles machen, wenn ich nicht seit gefühlten 35 Minuten warten würde, hier im Limbus. Bloggen müsste ich, sonst will der Ironblogger Bot zehn Euro von mir.
Frau Meier wirft Frau Müller die Rollen hin, sie knallen auf die metallene Kasse, zwei kugeln hinab, in das Nirgendwo zwischen Scanner und Kassiererinnenbeine, aus meiner fernen Position nicht mehr einsehbar. Mühsam presst die Kassiererin ihren Oberkörper hinterher, schaufelt die Geldstücke nach oben. Fein säuberlich legt sie sie auf den Scanner, der ordnungsgemäß kein *Blip* von sich gibt.
Und sie starrt die Rollen an, als ob sie sie alleine Kraft ihres Blickes öffnen und einsortieren könnte.
Minutenlang.
“150 Euro”, sagt sie laut. Das Geld holt sie sich aus der Kasse, gibt es Frau Meier. Sie schlurft davon. Frau Müller schließt die Kasse. Ein krasser Fehler, denke ich mir, noch hat sie die sichtlich gealterte Kundin nicht abkassiert . Das scheint auch Frau Müller langsam zu realisieren. Noch immer prügelt Frau Müller blickend auf die Rollen ein, die Kasse geschlossen, die Kundin genervt.
Dann hat sie eine Erleuchtung. *Blip* macht es, als sie die letzte Ware noch einmal über das Band gezogen wird.
*Storno* krächzt sie. Ich versinke in Demut. Schließe die Augen. Der Geschäftsführer eilt herbei, steckt den Schlüssel in die Kasse, drückt. Die Kasse öffnet sich endlich. Vergil zieht den Schlüssel, verschwindet wieder ins Nirgendwo.
In Zeitlupe greift sie sich eine Rolle, haut kräftig auf die Kante, bis das Papier platzt. Gemütlich sortiert sie die Münzen in die entsprechenden Fächer. Seelenruhig. Ohne sich von den *Blips* der Nachbarkassen stören zu lassen, an denen die Kunden Schweißperlen auf der Stirn vom Gerenne haben.
Ich überlege, ob ich darüber bloggen sollte. Normalerweise schreibe ich nicht über alltägliches, verwerfe den Gedanken. Nach einer scheinbar unendlichen Stunde, der Spiegel ist fast ausgelesen, darf ich auch meine Ware auf das Band legen.
Vor mir wartet ein Vater mit seinem kleinen Kind. “Na”, sagt Frau Müller, die plötzlich Leben ins Gesicht bekommt. Sie beginnt, mit dem Kind zu spielen, unterhält sich mit dem kleinen, was den Vater sichtlich nervt, zwei Milchpackungen liegen auf dem Band. Gut, denke ich, dass Frau Müller keine Wurstscheiben unter dem Tisch liegen hat.
[…]*Blip* ruft meine Pizza. “Mit Karte bitte”, sage ich. Missbilligend sieht sie mich an. Klagend fragen ihre Augen, warum ich 2,59 Euro mit der Karte zahle, statt komfortabel passend mit Münzen.
Dann sagt Frau Müller. “Dat Papier is leer. Ich muss kurz die Rolle wechseln”, und ruft “Rolle bitte”. Und ich weiß, was ich heute abend bloggen werde.
(Geschrieben während des Schlangestehens im Supermarkt)
Bargeld EC genervt Kasse Storno Supermarkt ungeduldig Warten Wechselgeld
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