Neulich, gegen vier oder fünf Uhr nachts, platzte mir der Kragen, kaum dass ich aus dem Schlaf gerissen war. Wieder einmal. Das Smartphone bellte wild auf. Doch es war weder ein Anruf der Polizei, noch etwas Weltbewegendes oder gar eine Katastrophe, weshalb ich um den Schlaf gebracht wurde. Es war Spiegel Online. Mit einer Eilmeldung. “Bergung vor Giglio: Wrack der “Costa Concordia” aufgerichtet” stand da zu lesen. Und ich schmiss das Handy an die Wand. Und verfluchte SPON für ihre redaktionelle Inkompetenz.
Eine Eilmeldung in die Welt zu schicken, wenn ein erwartetes Ereignis eintritt, gleicht dem Berichten vom täglichen Sonnenaufgang. Und das ist bei SPON kein Einzelfall. Oft sogar mehrfach am Tag nervt der Nachrichtendienst mit unglaublichen Nichtigkeiten.
“Die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen erhält den Friedensnobelpreis”
“IOC-Wahl: Olympische Sommerspiele 2020 gehen nach Tokio”
“Bundestagswahl: Union legt deutlich zu, FDP und AfD ringen um Einzug ins Parlament”
“Eilmeldung: Erste Hochrechnung zur Landtagswahl in Bayern”
Und, mein Liebling: “Los Angeles: Oscar für Christoph Waltz” – Wieder mitten in der Nacht.

Das alles sind sicherlich interessante Nachrichten – Eilig ist keine Einzige. Zwar gibt SPON selbst aus: “Unglücke und Rücktritte, überraschende Entwicklungen und Beschlüsse: SPIEGEL ONLINE informiert Sie blitzschnell mit Eilmeldungen über Neuheiten, die Deutschland und die Welt bewegen.”

Überraschend ist dennoch kein einziges dieser Ereignisse. Dass die Costa Concordia irgendwann mitten in der Nacht aufgerichtet werden sollte, war abzusehen und erwartet. Schließlich waren keine Anfänger am Werk, sondern die Besten der Besten der Besten. Wäre sie zerbrochen, das wäre eine Nachricht, dafür hätte ich vielleicht den Stream eingeschaltet. Dass der Sieger der erwarteten, seit Jahren angesetzten IOC-Wahl Bach heißt, sogar abzusehen. Dass es bei einer Wahl Hochrechnungen und einen Sieger gibt, sind keine Ereignisse, das man nicht auch ohne Eilmeldung mitteilen kann. Hätte es keine gegeben, weil ein Feuer Bayern vernichtet hätte, dann…  Und das irgendwer irgendwann mitten in der Nacht einen Preis bekommt, dass kann man auch morgens lesen. Hätte es einen Anschlag gegeben, der die Preisverleihung ausfallen lässt… 

Wikipedia definiert zusammenfassend eine Einmeldung als:

“Die Eilmeldung (englisch breaking news) ist eine journalistische Nachricht, die eine derart hohe Relevanz besitzt, dass eine reguläre Nachrichtensendung in Hörfunk und Fernsehen nicht abgewartet werden kann, sondern das laufende Programm unterbrochen werden muss.”
– wikipedia

“[…] Die zweite Dringlichkeitsstufe gilt für Eilmeldungen, die über sehr wichtige Ereignisse und Entscheidungen sowie über Naturkatastrophen berichten, zudem wird die Eilmeldung bei Korrekturen von Falschmeldungen verwendet.
– Deutsche-Tageszeitungen.de

Im Zeitalter eines dauernd laufenden Nachrichtenflusses sind Eilmeldung für erwartete Ergebnisse hinfällig. Eilmeldungen dienen dazu, Ereignisse, die unerwartet sind, zu verbreiten. Naturkatastrophen. Den Tod von Reich-Ranicki oder Thatcher. Einen überraschenden Rücktritt eines Bundespräsidenten oder Papstes, damit die Leute noch schnell den Fernseher einschalten können. Live dabei sein können. Wenn zwei Flugzeuge in einen Wolkenkratzer in New York stürzen, ist das eine Eilmeldung.

Oder, um es kurz zu machen:

Eine Eilmeldung ist all das, wozu es keine Vorberichterstattung und Countdown gibt. Bei dem nicht Praktikanten in Nachrichtenredaktionen sich die Nacht um die Ohren schlagen, auf ein Ereignis vorschreiben, das bereits angekündigt ist. Bei dem es einen Grund gibt, den Tagesablauf und vor allem Nachtablauf eines Menschen zu unterbrechen, und ihn an den Medienkanal zu locken.

Zu sehr verfällt die Nachrichtensendung sonst der Banalität. “Eilmeldung: Sonne um 6.32 Uhr aufgegangen.” “Eilmeldung: Regenfälle führen in Bonn zu langen Staus auf der A555.” “Eilmeldung: Toilette am Bahnhofsklo nach allmorgendlicher Putzaktion wieder nutzbar.” Wie SPON ist auch Tagesschau.de dem Irrglauben der Eilmeldungen für Nichtigkeiten verfallen, suggeriert Aktualität und Dringlichkeit und heischt doch nur nach überflüssiger Aufmerksamkeit.

Wer wissen will, warum Nachrichtenplattformen, egal ob Print oder Digital, immer mehr an Ansehen verlieren, findet in der Eilmeldungspraxis eine Antwort: Es geht nicht mehr um Qualität der Beiträge, um Abwägung, in  wie weit es interessant für die Zielgruppe ist.  Es geht darum, als erster die Pushmeldung zu verschicken, um die Leute anzulocken. Medien als Marktschreier.

Ich bin sicherlich nicht der erste, der sich über uneilige Eilmeldungen aufregt. Oder kurzgefasst. Ja, ich will wichtige Meldungen, die mir den Löffel aus dem Mund reißen. Ich will aber nicht mitten in der Nacht geweckt werden, um den Namen eines neuen Oscar-Preisträgers zu wissen. Oder ob eine Schiffswrack erwartungsgemäß aufgerichtet wurde. Das hat Zeit bis morgen.

Eilmeldungen SPON Tagesschau