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Hausbesetzung logische Konsequenz und Chance. Wie sich die Stadtgesellschaft verändert
Sebastian Eckert comment One Comment

Bonn – Das einzige, was mich bei der Hausbesetzung am Viktoriakarree wundert, ist, dass es erstens im beschaulichen Bonn und zweitens nicht schon an anderer Stelle in der Bundesstadt passierte.

Der Investor Signa hatte den bisherigen Mietern ihre befristeten Verträge, die oft nur wenige Monate Laufzeit hatten, gekündigt, um Druck auf Stadt und Politik zu machen.

Wenn man von einer aggressiven Leerstandspolitik spricht, ist das daher nicht falsch, spätestens nach vier Monaten hätte die Seite am Rathaus mit eingeschlagenen Scheiben und Verwahrlosung ein erschreckendes Bild abgegeben. Das augenscheinliche Ziel: Empörung bei der bürgerlichen Bevölkerung, die Druck auf die Ratsmitglieder ausüben sollten.

Wie verwahrlost so etwas aussehen kann, sieht man etwa am Hauptbahnhof. Die Südüberbauung (Maximilianpassage) war nie ein Schmuckstück, und die vielen zugekleisterten Scheiben machen es nicht besser. (Wenn das Libertäre Zentrum Bonn (LIZ) mal raus muss, dort gibt es gleich mehrere Stockwerke für ein Kulturzentrum, fast ganz ohne Anwohner. Nur so als Hinweis…)

Logische Konsequenz – und sogar eine Zäsur?

Dass das LIZ sich die Chance nicht entgehen lässt, kein Wunder. Ruckzuck hängten sie ihre Fahnen auf, in Sicht- und Spuckweite der Ratsparteien, die letztendlich seit 2010 für die Nicht-Entwicklung des Grundstücks zuforderst verantwortlich sind.

In den sechs Jahren einigten sie sich schließlich, im Rahmen des Masterplans Innere Stadt, das Grundstück zu vermarkten, um Gewerbeflächen zu bauen, als Einkaufszentrum sowie mit neuer, leicht abgeänderter Verkehrsführung

Stadtplanerisch ist das keine Glanzleistung. Dass der selbe Rat, der nach all den Jahren endlich eine Entscheidung traf, das Projekt nur wenige Monate später wieder stoppte, auch nicht. Aber das ist eben Bonn, entschieden wird hier nichts, und wenn ja, dann eine Entscheidung aufzuheben.

Mit der Hausbesetzung flackert auch eine neu politisierte Stadtgesellschaft auf. Sie ist noch winzig, sie ist noch nicht tiefenorganisiert, aber sie ist vernetzt. Der Kern: Still- und Leerstand sowie Ideenlosigkeit wird bald nicht mehr akzeptiert.

Dies ist auch eine Chance für die Ratsparteien, die es sich bislang in der Entscheidungslosigkeit bequem gemacht haben. Denn außer bei der vorzeitigen Verlängerung eines millionenteuren Intendantenvertrags für eine klamme Stadt gab es in den letzten Monaten und Jahren wenig wegweisende Entscheidungen. Zuletzt wurde sogar wieder der Neubau eines Kombibads (seit fast zehn Jahren im Rahmen einer Bäderdebatte in der Diskussion) wieder mal gestoppt.

Wer weiß, was sich bis zur nächsten Wahl aus Viva Viktoria alles politisch entwickelt. In Mohnheim begann alles mit ein paar Schülern.

Hausbesetzung kein Schaden

Im Übrigen ist die Besetzung des leerstehenden Teils des Viktoriakarrees erst einmal kein Schaden, sollte es doch sowieso abgerissen werden für eine neue Mall. Alle Klagen dagegen sind nur Getöse einzelner Bürger und Ratsvertreter, die solche Aktionen einfach nicht mehr gewohnt sind – und angesichts von vermummten Linken, beflaggten Gebäuden, Tanzdemos und Umsonst-Läden Neurosen kriegen.

Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch, sollte sie eingegangen sein (mehr weiß sicher die Polizei) ist eine logische Quittung. Materieller Schaden an dem baufälligen Gebäudekomplex wird aber kaum entstehen.

Das libertäre Zentrum Bonn, bislang eher durch wenige Stunden lange Besetzungen von Gebäuden als politisches Zeichen aufgefallen, wird es sich dort ein bisschen gemütlich machen. Bis die Signa – oder der Rat – eine Entscheidung trifft, wie es weitergeht.

Eine Verteidigung des Baus ist aber kaum zu erwarten. Die Aktion ist als politische Aktion gegen die Leerstandspolitik zu verstehen, nicht als dauerhaft angelegte Besetzung um jeden Preis. Gibt ja noch genug Leerstand in Bonn, der längst hätte beendet werden können.

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