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Parasit der europäischen Volksseele
Sebastian Eckert comment 0 Comments

Liest man derzeit Zeitungen und Kommentare über die Griechen, könnte man meinen, man wäre sprachlich wieder 1933 gelandent. So hat ‘der Grieche’ lange genug geärgert. Ein Betrüger, dieser Grieche. Er saugt die hart arbeitenden Europäer aus, macht sich mit Sirtaki und Ouzo einen faulen Lenz unter der immerwährenden griechischen Sonne. Ein Parasit.

Es ist die Zeit der kleinen Kämmerer, der großen Populisten.

Vor zwei Monaten saß sich zufällig mit einem Griechen am Tisch, im Rahmen einer Konferenz. Er arbeitet seit Jahren in aller Welt, ist genauso als Europäer aufgewachsen wie ich, als Schengen normal war. “Es ist derzeit nicht leicht, Grieche in Europa zu sein”, sagte er. Ich antwortete: “Es ist derzeit viel zu leicht, Deutscher in Europa zu sein.”

Der Großteil der Griechischen Bevölkerung liegt am Boden. Dank der Geldmarktbeschränkungen gehen die letzten mittelständischen Unternehmen den Bach runter. Bei Renten zu sparen, eine Mehrwertsteuererhöhung zu fordern, das alles schießt gegen das griechische Volk – und ändert nichts am Problem. Die Schuldenquote hängt mit der Wirtschaft zusammen. Wenn das Bruttoinlandsprodukt sinkt, steigt die Schuldenquote.

Griechenland braucht Kapital und Reformen. Kapital, nicht nur um deutsche Banken zu bedienen, sondern auch um die Wirtschaft zum Laufen zu bringen. Reformen, die hart angegangen werden, um den Staat geschmeidiger zu machen. Aber das braucht Zeit.

Man könnte natürlich auch einfach alle griechischen Schulden auf einen Schlag tilgen, sind es doch nur um die 300 Milliarden. Stattdessen fordert man noch härteres Sparen, als ob Rentner von 400 statt von 500 Euro noch leben können. Wenn man kein Geld hat, entsteht ein Schwarzmarkt, wird die restliche Wirtschaft zersetzt.

Und dann regen sich die Deutschen, die über zwei Billionen Euro Schulden selbst haben, darüber auf, dass die Griechen weiteres Geld brauchen? Popelige 19 Milliarden, um den Zusammenbruch eines europäischen Staates zu verhindern? 19 Milliarden Euro sind nichts im Vergleich zu den Exporterlösen, die deutsche Firmen dank eines schwachen Euros erwirtschafteten.

Europa ist mehr als nur freie Grenzen und eine Währung. Europa ist im Kern ein Versprechen. Füreinander einzustehen, Mauern abzubauen. Dass kein Staat und kein Volk mehr sich irgendwann über ein anderes erhebt. Besonders nicht die Deutschen, die sowieso immer alles besser wissen. Dass man auch morgen arbeiten kann, irgendwo im Ausland vielleicht, ohne Angst zu haben, dass Panzer wieder über Felder rollen, ohne Angst zu haben vor Verfolgung.

Europa bedeutet, anderen zu helfen. Auch wenn es bisher nicht drinnen Stand, so braucht Europa eine konsistente Wirtschafts- und Schuldenpolitik. 1990 hat Deutschland einem maroden Staat ohne reale Wirtschaftsleistung großzügig unter die Arme gegriffen. Es wurde nicht aufs Geld geschaut. Was damals die DDR-Bürger den Westdeutschen waren, sind heute die Griechen den Europäern.

Reformen brauchen Zeit. Noch heute gibt es den Soli, noch heute gibt es ein West-Ost-Gefälle in Deutschland. Und Verträge nicht  immer hundertprozentig einzuhalten, das können auch die Deutschen, haben sie unter Schröder bewiesen.

Überlegt man, dass der Deutsche schon mal fünf Milliarden dafür aus dem Fenster wirft, damit Bürger funktionierende Autos verschrotten lassen, sind die Griechenland-Rettung nur Peanuts. Bislang floss kein Geld nach Griechenland. Nichts wurde investiert. Es wurden Verbindlichkeiten bedient, bei Banken.

Und wo stehen wir jetzt? Bei Forderungen, die einfache Menschen treffen. Mickrige Rente noch mehr kürzen. Wie groß wäre der Aufschrei in Deutschland, wenn man Hart IV um 100 Euro verringern müsste?

Wo stehen wir jetzt? Eine deutsche Regierung, die den Anschein erweckt, Europa zum dritten Mal innerhalb von 101 Jahren “einigen” zu wollen, Länder unterwerfen zu wollen, wenn auch mit anderen Mitteln. Genau so sieht es derzeit für andere Länder aus. Das sind die Folgen, wenn es zu leicht ist, Deutscher zu sein.

Als Deutscher schämt man sich, dachte man doch, das preußische Großherrentum wäre ad acta gelegt. Und man wünscht sich glatt einen Helmut Kohl zurück, oder andere Europäer. Die einen Blick hatten für das, was eine Europäische Union bedeutet.

Und das kann man nicht in Geld aufwiegen. Und wer es tut, hat langfristig keine Union mehr. Wenn alle nur auf kleine Vorteile schielen, sind wir alle Briten. Dann gäbe es bald  kein Schengen, dann gäbe es bald wieder Zölle, dann gäbe es bald keinen Binnenmarkt mehr.

Griechenland braucht Reformen. Dringend. Aber Griechenland und seine Bevölkerung braucht auch eine vernünftige Perspektive. Ein Konzept, dass sich in eine europäische Vision einbettet. Aber Visionäre sind rar geworden, in einem Europa der kleinen Kämmerer.

Deutsche Griechenland Kämmerer

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