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Mit Vorratsdatenspeicherung endlich die vielen Serienmörder schnappen
Sebastian Eckert comment 6 Comments

Überraschenderweise hat auch der Bonner Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber auf dem SDP-Parteikonvent für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt.  Überraschend deshalb, weil seine Entscheidungen bisher auf eine Ablehnung der VDS schließen ließ.  Ich schätze Ulrich Kelber sehr und sehe auch seine Arbeit für die Region. Aber dieser Pressemeldung zur VDS merkt man an, wie sehr  sich Kelber hier als dienender Staatssekretär definiert, und wie unwohl er sich bei der Begründung seiner VDS-Entscheidung zu fühlen scheint.

Immer wieder betont er, im Kern sei diese VDS ganz anders, weil man jetzt etwas kürzer, keine Mails und natürlich viel sicherer speichert. Und wer Berufsgeheimnisse trägt, der darf ja gar nicht erfasst werden.

Das sind Nebelkerzen, und das weiß der MdB selbst, er kennt sich netzpolitisch aus.

Denn der Knackpunkt bei der VDS ist nicht, was wie lange gespeichert wird. Sondern dass anlasslos Daten aller Bürger erfasst werden, aus denen man wochenlang Rückschlüsse auf deren Tagesablauf und Kommunikationsverhalten schließen kann. Dass man täglich an den Staat meldet, mit wem man von wo wie lang telefoniert hat, wo man hingegangen ist, wann man den Rechner zu Hause und auf der Arbeit an und ausgeschaltet hat. Nichts anderes sagen diese Daten aus.

Oder mit den Worten Kelbers vom Januar selbst:

Oder auch:

Und

Jetzt gibt es also eine halbe Rolle rückwärts. Denn für Kelber ist nicht mehr die anlasslose Speicherung der bisherige Fehler. Plötzlich sei eine VDS ja möglich:

Der Europäische Gerichtshof hat meine Auffassung bestätigt, als er eine VDS für möglich, die konkrete Richtlinie aber als grundrechtswidrig erklärte.

Der EUGH hat erklärt, dass eine er eine ausufernde, anlasslose Erfassung (Lesenswert ab Absatz 25) von Daten aller Bürger im Kern für illegitim hält (eine lesbarere Zusammenfassung hier. Zwar ist sie sicherlich nützlich  bei der Jagd auf Verbrecher, so der EuGH

Die Vorratsspeicherung solcher Daten kann somit als zur Erreichung des mit der Richtlinie verfolgten Ziels geeignet angesehen werden.

Aber sie ist nur unter schärfsten Einschränkungen möglich: Weil man sonst mit Kanonen auf Spatzen schießt, weil man Bewegungsprofile aus den Daten erstellen kann, weil die Daten kaum ordentlich gesichert werden können, weil nicht nur das schwer zu definierende Notwendigste erfasst wird, weil man  Unschuldige erfasst, weil man kein vernünftiges Widerspruchsrecht hat, weil auch Berufsgeheimnisträger erfasst werden. Daran ändert auch nichts, wenn man etwa  E-Mail-Verkehr heraus nimmt.

Diese Beurteilung kann nicht durch den […]  Umstand in Frage gestellt werden, dass es mehrere elektronische Kommunikationsweisen gebe, die nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/24 fielen oder die eine anonyme Kommunikation ermöglichten.

All die Auflagen erfüllt auch dieser Gesetzesentwurf noch nicht.

Zurück zu Kelber. Der MdB jedenfalls weiß sogar: “dass insgesamt der Nutzen einer (der EU-, SE) VDS zur Aufklärung/Prävention schwerster Straftaten oft überschätzt wird.” Die ausufernde VDS war also übertrieben. Warum er dann jetzt für eine abgespeckte Version ist?

…dass es Fälle gab und gibt, in denen Telekommunikations- und Standortdaten die einzigen oder die entscheidenden Ansätze für eine Ermittlung sind/waren.

Also wegen Einzelfällen. Und das ist das Problem: Man macht einfach keine Gesetze für Einzelfälle.

Er schreibt zudem:

Es ist ein Gesetzentwurf, der die Vorgaben von Verfassungsgericht und Europäischen Gerichtshof vollumfänglich einhält. Dieser Gesetzentwurf stellt tatsächlich eine akzeptable Abwägung aus Sicherheit und Freiheit dar. Heiko Maas hat hervorragend verhandelt, dies wird ihm von Datenschützern wie Thilo Weichert bescheinigt.

Vollumfänglich? Der wissenschaftliche Dienst watschte den Entwurf bereits ab. Denn Bewegungsprofile lassen sich weiterhin herstellen. Berufsgeheimnisträger können sich melden, werden ausgenommen. Was ist aber mit denen, die Kontakt mit Berufsgeheimnisträgern, Journalisten, Anwälten,  aufnehmen? Sind diese dann auch ausgenommen? Oder sind die Betroffenen dann noch mehr verdächtig? Und: Thilo Weichert kloppt den Vorschlag trotz Verbesserungen auch weiterhin in die Tonne:

  • Die vierwöchige Speicherfrist für Standortdaten ist nicht erforderlich und unverhältnismäßig. Standortdaten ermöglichen grds. die Erstellung von Bewegungs-, Interessen- und Sozialprofilen. Auf der Grundlage der Prüferfahrungen des ULD kann eine Speicherfrist auf 4 Tage reduziert werden, etwa wenn es um Funkzellenabfragen geht.

  • Unverhältnismäßig ist auch die zehnwöchige Speicherung von Kommunikationsdaten, über die Kommunikations- und Sozialprofile erstellt werden können. Ausreichend ist insofern eine Speicherfrist von 4 Wochen.

Viele der Einwände sind also weiterhin gültig. Netzpolitik.org hat Argumente dazu, auch D64 hat genügend verfasst.

Privat ist nicht Staat

Kelber wendet ein, dass das die Firmen ja auch machen. Das zu regeln, ist aber Sache des von mir gewählten bzw. regierenden Gesetzgebers auf Bundes- und EU-Ebene. Man könnte, wenn man nur wollte. Dass die deutsche Regierung derzeit auf EU-Ebene ihr menschenmöglichstes unternimmt, um den Datenschutz aufzuweichen, ist da nur ein weiterer Aspekt.

Und bei Facebook, Apple, Microsoft  und Google kann ich mich jederzeit dazu entscheiden, die Dienste nicht zu nutzen, mich zu anonymisieren. Das kann ich nicht, wenn der Staat direkt am Sender, meinem Smartphone, meinem Router, meinem Arbeitsrechner, schnorchelt, um damit, wie Kelber schreibt, Serienmörder und “schwerste” Verbrecher zu fassen.

Der Aspekt “Schwerste” Verbrechen

Es ist nämlich eines der drängendsten Probleme, tausende der bisher unerkannt mordenden Serienmörder zu fassen. Und das könnte ja jeder von uns sein. Oder ein “Kinderschänder”, wie BW Innenminister Gall meint.  Schwerste Verbrechen eben, für die man gerne die “vermeintlichen Freiheitsrechte” aller Bürger aufgibt.

Und später kann man dann die VDS ausweiten, etwa auf Einbrüche. Den Vorschlag gibt es bereits durch den Koalitionspartner. Oder auf bandenmäßigen Trickdiebstahl am Zigarettenautomaten… Für Internetkriminalität ist die VDS übrigens nicht vorgesehen, dabei wäre dies am naheliegendsten.

Der Schutz der gesammelten Daten

Dass jetzt, nachdem der Bundestag gehackt worden ist, die NSA in Deutschland schnorchelt, wie sie will, man jetzt von einer besonderer Sicherung  spricht, ist nicht ohne. Eine besondere Sicherung dieser Daten ist schlichtweg nicht möglich, weil man Daten nicht perfekt schützen kann. Eine massenhafte unsichere Speicherung ist ein Verstoß gegen Datensparsamkeit und Datensicherheit. Dass diese Daten auch noch bei privaten TelKo-Anbietern gespeichert werden sollen, die offenbar mit Geheimdiensten gut zusammenarbeiten, gegen die man zugleich schimpft, sie würden Daten auswerten –  geschenkt.  Dass Kelber nur “kein Zugang für die deutschen Geheimdienste” fordert, ist sicherlich nur ein sprachliches Versehen und kein Eingeständnis an die Aluhutfraktion.

Jeder ist verdächtig

Die Vorratsdatenspeicherung ist der Anfang eines Staates, der allen Bürgern misstraut. Der Anfang eines Präventionsstaats. Statt auf andere Lösungen zu setzen, auf verdachtsabhänige Methoden etwa, wird alles erfasst. Wenn es auch noch nicht für alles verwendet werden darf: Andere Regierungen werden die Nutzung ausweiten.

Übrigens: Dass MdBs ihre Speicherfristen im Bundestag verkürzen, spottet nicht nur wegen der Affäre Edathy Hohn. Entweder sind alle, auch “Berufsgeheimnisträger”, verdächtig, oder niemand. Aber irgendwie muss man ja den EuGH Richtlinien nachkommen. So zeugt das Vorgehen der Abgeordneten zugleich davon, dass manche eben gleicher sind als andere. Und niemand sich gerne überwachen lässt, wenn er etwas dagegen tun kann.

PS: Wer meint, dass die SPD in dieser Frage noch nicht verloren ist, und man mit persönlichem Engagement in Parteien generell etwas ändern kann, der kann den empfehlenswerten Beitrag von Maxim Loick dazu lesen.

Artikel wurde neu gegliedert (Überschriften) und leicht korrigiert

Nachtrag: Ich glaube nicht, dass diese VDS-Regelung genauso schlimm ist wie die andere. Die Hürden für eine Nutzung sind deutlich höher. Das Kernproblem aber bleibt, und das ist die Verhältnismäßigkeit, Bewegungsprofile von und illegitime Zugriffe auf Daten der gesamten Bundesbevölkerung.

Man kann dem MdB zugute halten, dass die Regelung wahrscheinlich die bestmöglichste war, angesichts des Koalitionspartners. Sinnvoll ist sie nicht.

Kelber Vorratsdatenspeicherung

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    1. Danke. Ist aber eigentlich nur schnell zusammenkopiert 😉 Und das ist ja eigentlich das Fatale. Es ist alles so entlarvend an dieser Debatte.

      Wenn man jede Wohnung überwacht hängt, jede Emails mitliest, jede Kamera in jedem Fernseher und Sensor im Rauchmelder erfasst und alle Bilder speichert, wenn man jeden Bürger überwacht, dann ist es natürlich deutlich einfacher, Verbrechen aufzuklären.

      Aber dann ist es auch schon zu spät für ein Leben in Freiheit.

  1. Nachtrag: Ich glaube nicht, dass diese VDS-Regelung genauso schlimm ist wie die andere. Die Hürden für eine Nutzung sind deutlich höher. Das Kernproblem aber bleibt, und das ist die Verhältnismäßigkeit, Bewegungsprofile von und illegitime Zugriffe auf Daten der gesamten Bundesbevölkerung.

    Man kann dem MdB zugute halten, dass die Regelung wahrscheinlich die bestmöglichste war, angesichts des Koalitionspartners. Sinnvoll ist sie nicht.

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