Über verschlafene Verlage und digitale Zeitenwende
Früher ging Jupp zum Kiosk, kaufte sich seine Kippen und die tägliche Zeitung, las sie auf dem Bau. Früher las Gisela den Tagesanzeiger am Frühstückstisch, nachdem sie die Kinder für die Schule fertiggemacht hat. Früher saßen Pendler in den Zügen, verdeckten einander mit den Nachrichtenblättern des Tages die Sicht. Damals gab es auch noch Zugschaffner, und Busfahrer konnten so bremsen, dass keinem der Gäste das Rückgrat durchs Gehirn schoss.
Das war früher so, und es war lange so. Heute liest man Nachrichten auf Endgeräten, liest sie online. Wer heute Zug, Bus, Bahn fährt, sieht Menschen mit und ohne Kopfhörer, die auf Bildschirme starren. Papier ist selten. Die Bildschirme sind groß oder klein, werden von unterschiedlichen Herstellern in den gleichen chinesischen Fabriken zu Geräten verbaut. Darauf lesen die Menschen darauf heute, schauen Videos, schreiben Mitteilungen und Briefe und lesen sogar manchmal noch Nachrichten. Letztere lesen sie dort meist kostenlos. Und darüber klagen die Verlage.
Man kann mit Online kein Geld verdienen, so der Tenor. Man habe die Leute daran gewöhnt.
Das alles stimmt so nicht ganz. Und die Chancen der Zeit, das versäumen die Verlage. Deshalb gibt es hier ein paar Gedanken, wie die Verlage eigentlich reagieren müssten, damit es sie in drei Jahren noch als Nachrichtenverlage gibt und auch Print-Redaktionen nicht sterben.
Der Content ist da, vergesst das Medium
Redaktionen erstellen Inhalte, und sie tun das immer noch mit Verve und Engagement. Es liegt an den Verlagen, diesen Content zu vertreiben. Wie die Menschen das Produkt „Zeitung“ lesen, sollte Verlagen eigentlich wurscht sein. Viele Ältere nutzen die traditionelle, recht kostspielige Plattform Print. Kostspielig deshalb, weil neben den Generierungskosten durch Schreiber, Fotografen, Redakteure und Verwaltung auch hohe Kosten für Druck, Vertrieb und Vermarktung anfallen (für die der Kaufpreis meist gerade so reicht!)
Inzwischen brechen die Printauflagen teil heftig ein. Das liegt zum einen am geänderten Lebenswandel vieler junger Leser. Aber auch immer mehr ältere Nutzer steigen inzwischen auf Tablets um und nutzen Smartphones. Man will die Nachrichten lesen, und zwar immer und überall.
Für die Online-Auftritte gibt es deshalb Apps. Schaut man sich aber an, wie viele Apps es für digitale Endgeräte gibt, wird die Sache düster. Einige große Verlage haben sie für ihren Online-Content parat, die einige abgespeckte Artikel aus dem Druck enthalten. In meinem Bekanntenkreis findet sich oft die SZ-App und die SPON-App auf dem Handy prominent an erster Stelle. In Bonn gibt es meines Wissens keine App für Online-Nachrichten. Noch immer verzichtet man lokal darauf, Leser über Apps an sich zu binden.
Noch düsterer sieht es im Printbereich aus. Sogenannte ePaper, also der 1:1-Umsetzung der Printausgabe, gibt es sehr wenig. Spiegel hat eine fast allumfassende Multiplattform-Umsetzung im Angebot. Andere Verlage konzentrieren sich hauptsächlich auf teure Apple-Lösung, andere Systeme werden grundlos ignoriert. Dabei nutzen zwei Drittel der Tabletts Android, schreibt das Börsenblatt. http://www.boersenblatt.net/631356/
Wer Content verkauft, muss den auch an den Mann bringen wollen
Dafür braucht es Apps, egal ob für den schnöden Online-Auftritt oder das ePaper. Je mehr Möglichkeiten, desto mehr Kunden. Und: Eine App zu entwickeln, ist vergleichsweise billig. Wer die Plattform schafft, kontrolliert das Endgerät.
Bekannt ist dies zum Beispiel bei Last.FM: Online lässt sich dort Musik kostenlos hören, auf dem Handy aber gibt es eine Bezahlschranke mit Abopflicht, die nur schwer zu umgehen ist (Last.FM) setzt auf Flash. Denn hat man erst einmal die Leser, ist eine Bezahlschranke machbar, Werbung lässt sich prominent setzen.
Und es gehört die Entwicklung eines einheitlichen Vertriebs, eine Art Onlinekiosk, dazu. Am Kiosk kaufte man sich eine Zeitung. Das Geld landete über Vertriebsorganisationen bei den Verlagen, ein bisschen fiel für die Kioskbesitzer ab. Warum geht dies nicht online? Ein Nutzer möchte, ohne sich groß registrieren zu müssen, ohne groß sich um die Überweisung zu kümmern, einfach bezahlen. Egal ob etwa mit Paypal oder einem neuen System – eine einfache Anmeldung muss genügen. Verkauft nicht nur Tages-, Wochen- oder gar Monatsabos, sondern auch nur Zugang zu einzelnen Artikel.
Wer etwas verkaufen will, muss es den Leuten so einfach wie möglich machen
Die Zeiten, in denen Zeitungsabonnements von Generation zu Generation übergeben wurden, sind vorbei. Nachrichten sind ein plattformübergreifendes Konsumprodukt geworden – und müssen mehr denn je an den Mann gebracht werden.
Hm, ich habe bisher noch jede Online-Zeitung ohne spezialisierte Verlags-Anwendung lesen können, ein Browser hat genügt. Vielleicht bin ich da auch etwas anachronistisch. Das Problem sehe ich jedenfalls weniger in der Technik oder im Vertriebsmodell – ein paar interessante Statistiken liefert dieser Artikel: http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/michael-haller-zur-zeitungsdebatte-a-917026.html
Den habe ich gelesen 🙂 Er schrieb aber, nachdem der Artikel fertig war. Worauf ich hinaus möchte mit spezialisierten Verlags-Apps: Nur wenn du das Medium (egal ob die gedruckte Zeitung oder die App im digitalen Bereich) kontrollierst, kannst du das Nutzerverhalten steuern und eine Bezahlschranke errichten. Wen jetzt jemand mit der hunderten verschiedenen Browser auf deinen Inhalt zugreift, hast du keinen Einfluss – egal ob auf Paywall oder, was sie sehen sollen.
Wenn du eine App hast, kannst du auch die digital natives gewinnen, für die Papier dazu da ist, Pommes einzupacken. Du kannst auch die Probleme lösen, die Haller als Hauptgründe für das Abbestellen von Nachrichten liefert.