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Das bedingungslose Grundeinkommen: Ein Mittel für sozialere Gesellschaft
Sebastian Eckert comment 2 Comments

Für Martin Oetting von kaffeeundkapital ist ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) eine gesellschaftliche und soziale Bankrotterklärung aus mannigfaltigen Gründen. Für mich ist das BGE seit Jahrzehnten das letzte verbleibende Mittel, um eine sozial gerechtere Gesellschaft zu retten und langfristig zu erhalten.

Oetting führt folgende Punkte auf, an dem das BGE zu scheitern drohe:

  1. 1000 Euro seien zu niedrig für ein würdevolles Leben. Es gäbe bereits Hartz IV. Das sei zwar nicht bedingungs- aber offenbar würdelos. Das gleiche gelte auf für ein BGE, weil man nicht verlangen kann, dass Menschen daraus etwas würdevolles machen.
  2. BGE führe zur Abschaffung des Sozialstaates, beides ginge wirtschaftlich nicht. Pech für Leute, die mehr brauchen, weil sie etwa krank sind.
  3. Wenn alle tausend Euro bekämmen, würden nicht nur die Preise steigen, sondern sänken auch die Löhne. Toll für Uber.
  4. Weil der Sozialstaat so abgeschafft werde, sterben auch soziale Lobbys. Wenn der Staat sparen müsse, dann beim Grundeinkommen. Politik werde zum Spielball der neoliberalen und (einfluss-)reichen Lobby.
  5. Weil der Autor in einer selbstfinanzierten Auszeit das Gefühl hatte, nicht gebraucht zu werden, man aber in einer BGE-Welt keine “Ansprüche” auf Fortbildung mehr hat, sei man unfrei. Man könne sich nicht mehr innerhalb der Gesellschaft weiterentwickeln, weil man nicht mehr einen Job suchen oder Karriere machen müsse oder könne. Man bekommt BGE und muss trotzdem Flaschen sammeln. Es entstünde eine Zweiklassengesellschaft: Die mit BGE, die nicht wertgeschätzt werden, es aber wollen, weil sie ohne Arbeit keinen Sinn mehr finden, und die mit BGE, die eben arbeiten, Karriere machen, groß und anerkannt in der Gesellschaft sind.
  6. BGE könnenicht bedingungslos sein, sondern müsse über einen Orts- und sozialen Faktor an Vergleichsmieten und Herkunft angepasst werden, sonst funktioniere es nicht und zementiere Ungerechtigkeit.
  7. Stattdessen sollte wieder an die Verantwortung der Wirtschaft appelliert werden.
  8. Besser als BGE, was ja ein “fiktionales Allheilmittel ist”, wäre eine Diskussion über Teilhabe, Lebenssinn und Demokratie.

Über solche Thesen lässt sich trefflich den Kopf schütteln und diskutieren. Es verkennt die Lage, Lebenswirklichkeit und sozio-ökonomische Entwicklungen. Im Einzelnen zu den Thesen.

Warum für Deutsche bedingungslos nie bedingungslos ist

Stell dir vor, du bekämst jeden Monat tausend oder gar 1500 Euro aufs Konto. Würdest du noch arbeiten gehen? Natürlich. Denn von tausend Euro kann man nicht leben, jedenfalls nicht gut.

Glaubst du, dein Nachbar würde noch gehen? Nein? Darf man ihn dann Sozialschmarotzer nennen? Müsste er nicht dann zur Arbeit gezwungen werden, weil man von 1500 Euro nicht gut leben kann, er also nur vegetiert?

Für Deutsche ist das Konzept einer bedingungslosen Leistung schwierig zu erfassen. Bei der Elternliebe klappt das noch, jedenfalls so lange, bis man verstanden hat, was ein Generationenvertrag  ist oder das Wort Seniorenpflegefall bedeutet. Dann kommen Zweifel, denn bedingungslos ist nichts im Leben.

Bedingungslos heißt: auf die Kralle, ohne dass ich eine Gegenleistung einfordere. Bedingungslos heißt nicht: Es ist das einzige, was du von mir bekommst, jetzt geh sterben.

Aber im einzelnen zu den Punkten

1. Die Mär vom würdevollen Leben ab einer Lohnuntergrenze

Geld ersetzt keine Würde. Würde kann man nicht kaufen, auch ein würdevolles Leben nicht.

Hartz IV, dass quasi als existierender Gegenentwurf zu einem BGE angeführt wird, ist eine Maßnahme zur Wiedereingliederung der Menschen als funktionierende Arbeiter. Die Höhe des ALG II, dass der Empfänger, wie er im Beamtendeutsch genannt wird, erhält, ist eine kein bedingungsloses Grundeinkommen. Es ist an teils schikanöse Auflagen geknüpft.

Diese Auflagen, angefangen von Ämtern, die auf Vermieterbescheinigungen bestehen, bei denen die Konten überprüft, bei denen Geldgeschenke an die Kinder durch Verwandte einberechnet werden, bei denen harte Sanktionen errichtet werden gegen Menschen, die auf jeden Cent angewiesen sind, diese Auflagen sind es, die aus einer möglicherweise bedingungslosen und ausreichenden Grundsicherung ein würdeloses Betteln machen. Empfänger, das sind Bittsteller. Daher stammt auch der schlechte Ruf von Hartz IV. „Herausgekommen ist ein System, mit dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden”, schreibt Peter Hartz dazu.

Wie rigoros die Maßnahmen sind, sieht man auch in Zahlen. Alleine im letzten Jahr gab es 121 000 Klagen gegen Bescheide. 40 Prozent waren erfolgreich. Rund 10 Jahren nach Einführungen von Hartz IV müssen sich Menschen um zustehendes Geld durch alle Instanzen klagen, um sechs Euro Busgeld bei der Pflichtfahrt zum Jobcenter bekommen.  Einen Antrag dafür müssen sie aber immer noch stellen. Papierkram. Sie mussten erklagen, dass ihr WG-Mitbewohner nicht für sie aufkommen muss.

Hartz IV ist daher tatsächlich ein Notnagel, wie Oetting schreibt, und zwar ein hässlicher. Das hat nichts mit der Höhe zu tun. Denn Arbeit lohnt erst deutlich über dem, was es vom Amt gibt.

Das BGE würde nicht durch seine finanzielle Ausgestaltung ein würdevolleres Leben ermöglichen. Sondern dadurch, dass es bedingungslos an alle verteilt wird.

2. BGE und der Sozialstaat

Dass ein BGE jede andere sozialpolitische Maßnahme tötet, kann man fordern. Es ist aber nicht besonders schlau. Ein austarierter Sozialstaat wird nicht dadurch obsolet, dass man dem Menschen tausend Euro in die Hand drückt. Nur weil es Kindergeld (dass übrigens nur Eltern zusteht, die für Hartz IV zu reich sind) gibt, könnte man Kitas trotzdem kostenfrei machen und ein Familiensplitting einführen.

Nur wird eben die finanzielle Schwelle schneller erreicht, ab denen ein bedürftiger Mensch weniger Anspruch auf zusätzliches Staatsgeld für seine Bedürfnisse hat. Nur würden sich vielleicht mehr Menschen finden, die für schlechtbezahlte soziale Jobs arbeiten würden. Ein Altenpfleger etwa, der Spaß an seinem Beruf hat, bislang aber aufstocken musste.

3. Steigende Preise, sinkende Löhne

Selbst ein BGE in einem Bereich von 1500 Euro, wie es vernünftig wäre, liegt noch immer ungefähr auf dem Niveau eines ALG II mit allen Leistungen.  Für diese Menschen würden die Preise nicht steigen, denn sie leisten sich nichts, was deutlich teurer werden könnte. Dafür sorgt ein harter Preiskampf im Lebensmittelhandel.

Preise entstehen, vereinfacht gesagt, aus den Kosten der Produktion einer Ware, plus einen Qualitäts- und/oder Marketing-Aufschlag durch Produktdifferenzierung. Deshalb zahlt man für einen Apple-Rechner auch doppelt so viel wie seine Bestandteile eigentlich wert sind, und für Nike-Turnschuhe zehnmal so viel wie für Tchibo-Sporttreter. Dank eines großen Marktes, wie die europäische Union sie ist, hätten aber “deutsche” Preise, begründet auf ein BGE, nicht lange Bestand, zudem bietet Konkurrenzdruck im Markt genügend Preisdruck nach unten.

Anders könnte es bei den sinkenden Löhnen aussehen, mag man denken. Wenn Uber auf das BGE setzt, dann nur, weil sie dann weniger zahlen müssten. Von Lohndumping spricht Oetting etwa.

Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Heute sind von 44 Millionen Erwerbstätigen 1,317 Millionen neben Lohn auf Harz-IV-Leistungen angewiesen.  Sie arbeiten etwa für Paktetdienstleister, als Zeitarbeiter bei Mercedes, als Friseure, als Teilzeitkraft im Discounter an der Kasse, für den Mindestlohn oder gar darunter, was noch immer geduldet oder durch Behörden ignoriert wird.

Und zwar nicht, weil sie darin ihre gesellschaftliche Erfüllung sehen, dort zu arbeiten. Sondern weil sie es müssen. Verlieren sie ihren Job, vielleicht sogar selbstverschuldet, droht Hartz IV, sogar mit Sanktionen, wird Geld gestrichen.

Bedingungsloses Einkommen sorgt dafür, dass Arbeitgeber nicht mehr mit jeder schlechtbezahlten Stelle durchkommen. Dafür, dass sie ihre Arbeitsstellen attraktiver machen. Wer 1500 Euro bekommt, wird vielleicht lieber die Jugendmannschaft trainieren oder für 450 Euro in der Sozialküche der örtlichen Obdachloseneinrichtung arbeiten, statt unter Zeit- und Akkorddruck rennend Pakete durch Treppenhäuser zu schleppen. Das dient der Gesellschaft. Und führt auch dazu, dass Arbeitgeber wieder ein soziales Bewusstsein entwickeln, Arbeitnehmer nicht mehr als reinen Kostenfaktor sehen. Sondern als Arbeiter, die man für sich gewinnen muss.

4. Wachsende Lobbys durch BGE

Lobbys, die die Rechte der sozial schwachen Bürger verteidigen, sind selten, und zersplittert und nicht besonders laut. Sie setzen sich schon jetzt nicht durch – sei es beim Andrea-Nahles-Leiharbeitergesetz, dass in seiner Ausgestaltung einer Katastrophe gleichkommt, oder den letzten HartzIV-Reformen, die bis zu drei Jahre rückwirkend sanktionieren können.

Wenn allerdings die Gruppe derer, die etwas erhalten, wächst, wächst auch deren Schlagkraft. Den Mindestlohn zu kürzen, würde heute niemand wagen. 80 Millionen BGE-Empfängern etwas wegzunehmen, wird schwierig. Vor Allem, weil BGE-Empfänger im Zweifel auch mal Zeit haben, sich für etwas einzusetzen, ohne Angst haben zu müssen, bald zu verhungern oder “Pfand sammeln zu müssen”. Sie könnten sich organisieren, um den Lobbys die Stirn zu bieten. Wer nicht mehr fürs Überleben arbeiten muss, kann Kreatives und Soziales schaffen.

Und mal ehrlich, wo gab es in den letzten Jahren eine Politik, die sich um die sozial schwachen kümmerte, oder an sozialer Gerechtigkeit interessiert war?

5.) Grundeinkommen hat nichts mit Gleichmacherei zu tun

Tausend Euro sind tausend Euro. In München wie in Hoyerswerda. Dass man davon seine Miete nicht zahlen kann, ist für Familien auch in Bonn inzwischen so. Das BGE ersetzt keine Sozialleistungen, es dient dazu, eine Basis zu schaffen, auf der man aufbauen kann. Das hat nichts mit der Miete zu tun, die man zahlen muss. Es sichert Menschen nur besser ab.

Warum Überlegungen wie das BGE nötig sind

Das BGE muss aus anderen Gründen als Maßnahme betrachtet werden. Das sind gesellschaftliche Veränderungen, aber auch das Politikversagen.

Digitalisierung und ihre Folgen

Deutschland ist ein Hochlohnland, zumindest für einige bessergebildete. Niedriglohnjobs sind akut bedroht, und zwar aus der Digitalisierungs- / Automatisierungsecke. In vielleicht 20, 25 Jahren werden Menschen, die körperlich harte Arbeit ausführen müssen, die immergleiche Akkordarbeit am Band machen, nicht mehr im Land benötigt. Anders als bei den anderen Revolutionen entstehen in diesem Bereich aber keine Alternativen, keine neuen Niedriglohnjobs in anderen Bereichen. Wer früher Kohle aus dem Bergwerk holte, konnte später noch nach Bochum ans Opel-Band. Jobs, die sterben. LKW-Fahrer werden durch Roboter ersetzt. Dank 3D-Druck braucht man keine Maurer mehr, Häuser werden in Zukunft gespritzt.

Selbst der Dienstleistungssektor ist nicht mehr golden. Callcenter werden obsolet, Redakteure irgendwann auch. Für die Tätigkeiten der Zukunft ist Bildung das A und O. Für viele andere bleibt ein Leben, in dem die grundlegenden Einkommen durch den Staat kommen muss. Denn Millionen Menschen, die durch das ALG II versorgt werden, bleibt sonst nur die Revolution.

Ein BGE ermöglicht eine Verwirklichung in anderen Bereichen. Die Menschen arbeiten etwa für Menschen, kümmern sich um soziale Projekte. Sie erhalten dafür Anerkennung, die nichts mit dem Lohn zu tun hat – und nie hatte. Die Gesellschaft wird entkoppelt vom Zwang, sich durch jede Arbeit nur möglich ernähren zu müssen.

Die Gewinne der Firmen werden durch Digitalisierung noch mehr steigen. Arbeitsleistung wird vom Arbeiter entkoppelt und durch Algorithmen und Maschinen vollbracht. Diese Gewinne umzuverteilen auf eine Gesellschaft ist Aufgabe des Staates. Das haben Firmen wie Uber und Tesla mit der Forderung nach einem BGE verstanden. Denn eine Firma selbst wird niemals von sich aus sozial handeln.

Das BGE kann eine Antwort auf jahrzehntelange unsoziale Regierungspolitik sein

Deutschland hat nach 15 Jahren sozial ungerechter Politik, mit wachsender Einkommensschere, einer aus dem Ruder gelaufenen Rentenpolitik, die junge arbeitende noch mehr belastet, einen Punkt erreicht, an dem man umsteuern muss.

Bislang wurden die Ärmsten und viele einkommensschwache Gruppen bei jeder Reform vergessen. Schlechte Arbeit wird nicht durch Zwang besser bezahlt. Mieten steigen jährlich um einen kleinen oder großen Prozentbetrag, während die Reallöhne stagnieren. Und der Staat schaut zu.

Nachdem das jetzt vorgestellte SPD-Wahlprogramm auch nur Ideenloses Gewäsch ist, muss man darüber nachdenken, wie eine Gesellschaft in 25 Jahren gestaltet sein muss, um als sozial zusammenlebende Gemeinschaft weiterexistieren zu können. Gerade angesichts der Herausforderungen durch Digitalisierung und Produktionsveränderungen. Ein Mittel kann sein, das Steuersystem komplett umzubauen und den Menschen ein grundlegendes Einkommen ohne würdelose Bedingungen zu ermöglichen. Geld ist im System vorhanden.

Für einen armen Menschen ist ein BGE viel. Wer viel Geld verdient, wird es gar nicht bemerken. Man muss über ein BGE nachdenken, ohne den Sozialstaat dafür aufzugeben. Es ist ein sozialpolitisches Mittel, mit dem man sich als Partei beschäftigen sollte, ohne es als utopisch abzulehnen. Vielleicht gibt es bessere. Man muss sie aber denken können.

Dieser Text wurde am Stück geschrieben und unredigiert veröffentlicht und inzwischen leicht korrigiert. Fehler bitte in die Kommentare.

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