Bonn ist die schönst Stadt wo gibt in der Welt, sagt der Bonner. Köln werde soziokulturell völlig überschätzt. Wer echten Swag sucht, muss es südlicher tun, eben in Bonn, sagen sie.
Südlichste Stadt Italiens, rufen sie dann mit mondäner Stimme, wären sie zugleich kleingeistig über überfüllte Grünabfalltonnen an Friedhöfen klagen und sich beschweren über Menschen, die nach zehn Uhr im Sommer noch draußen sitzen und unangenehm laut sind. Das sind ja dann auch keine Bonner, sagen sie dann, denn Bonner sind nicht unangenehm, sondern freundlich, weltoffen. Schließlich ist man ein Bundesstadtbürger – von Welt!
Die Bonner wären gerne sehr viel weiter, als sie es sind. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, schließlich trägt einjeder älter als 30 Jahre dort einen unbehandelten Urschmerz mit sich herum. Eine Wunde, eine klaffende Wunder, durch einen soziopolitischen Axt-Hieb, bis heute nicht verheilt ist.
Es ist der Verlust der Weltbedeutung, der aus den Bewohnern der deutschen Bundeshauptstadt, Nabel der Welt, wieder das machte, was sie seit jeher waren: Provinzler ohne Anspruch auf oder Verlangen nach besserem.
Es ist der Verlust der Bundeshauptstadt. Der Diebstahl, durch einfallende Hauptstadträuberhorden aus der asiatischen Steppe, von jenseits der Spree, die die Stadt und die betuliche Bundesrepublik so unerwartet traf wie ein Dolchstoß in den Rücken. Seit Anfang der 90er, als die stolze westdeutsche Bundeshauptstadt ihres Haupt beraubt und zu einer mickrigen Bundesstadt verkam, seit jenem Augenblick vor rund 25 Jahren sitzt dieses Leid tief.
Als die Bonner erkannten, mit welcher Verachtung der Rest der Bundesrepublik wirklich auf die Rheinstädter in ihrem Raumschiff herabblickt.
Und das schmerzt den Bonner, der noch immer der schönsten und aufregendsten Stadt, ja vielleicht nicht der Welt, aber wenigstens in Deutschland, lebt.
Es schmerzt ihn. Täglich. Nur so lässt sich auch das auffällige Verhalten der Bundesstadtbewohner gegenüber ihrer vorgeblich geliebten Stadt erklären. Es ist die Bonner Maladie. Sie hält Stadt und ihre Gesellschaft bis heute fest in ihrem Banne. Fast hätte sie es fast in die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, 10. Revision, German Modification (ICD-10-GM) geschafft, wäre da nicht, ja, wäre da nicht diese eine fehlende Stimme gewesen, die von Wolfgang Schäuble wahrscheinlich, mal wieder…
Die Bonner Maladie: Es ist die Angst, noch mehr zu verlieren. Aus diesem Grund wird an allem festgehalten, was früher einmal gut, oder zumindest schon lange da ist. Es ist eine Krankheit, die sich mit der Zeit auch auf rückwärtige Ereignisse projiziert wird. Das Alte verwalten, Stillstand erhalten.
Da wäre das Gebiet um den Bonner Bahnhof. Herrschaftliche Häuser standen da einst, prächtig gebaut im Stile der Jugend und Gründerzeit, mit so viel Giebeln, Stuck und Balkonen, dass Österreicher aus dem ganzen westdeutschen Bundesgebiet regelmäßig ins Rheinland fuhren, damals, in den 50ern, um ihre Heimweh zu stillen. Klein-Wien, hieß Bonn damals, mit italienischem Flair, erinnert sich der Bonner gerne, wenn er auf das hässliche Loch blickte.
Bis die 70er kamen, diese große, dunklen Wesen der baulichen Überheblichkeit, und die Häuser abrissen, um eine U-Bahn zu bauen und eine betonierte Luftschneise in die dröge Stadtgesellschaft zu hauen. Statt schicke Prachtbauten bekamen die Bonner einen Haufen Provisorien. So, wie es der Zeitgeist immerzu verlangte. So wie die Hauptstadt eine provisorische war, war jede ihrer Bauten nur Zwischenlösung.
Jedenfalls wurde ein zentrale Omnibusbahnhof gebaut, als Provisorium, mit provisorisch schmalen Bussteigen, einem Cityring, der daran vorbeirauschte, und einem gehörigen Schuss langlebiger Hässlichkeit. Davon hatten die Bauherren der 70er genauso viel wie von ihren Kindern geliehene Kohle im Stadtsäckel. Sie überbauten den Süden des Bahnhofsvorplatzgrundstücks mit einem Gebäude, dass so hässlich ist, dass selbst die Tauben bei seinem Anblick tot umfallen. Seit nunmehr 40 Jahren kommt inzwischen Bonnorange und zuvor städtische Mitarbeiter und schaufelt sie säckeweise in den Laster.
Und daneben betonierten die Architekten des Bonner Provisoriums ein Loch zu, dass sie Klanggrund nannten, das aber eigentlich nur ein Provisorium war. Denn gemeinsam mit dem daneben planierten Parkplatz diente es als Fundament für ein 18-stöckiges Hochhaus, dass niemals kam, weil es nicht mehr gewollt war, gut genug war.
Seit diesem Zeitpunkt vor rund 45 Jahren klagen die Bonner über ihr Loch. “Ein Schandfleck!” “Was sollen die Besucher denken!” “Spritzendeponie” “So kann man doch keine internationalen Gäste empfangen!” heißt es allgemein. Es ist übrigens kein Wunder, dass die UN jetzt einen eigenen Bahnhof in Gronau bekommt, den der Bonner als recht überflüssig empfindet. Doch ändern wollen sie seitdem nichts an der Situation. Denn es ist nichts gut genug.
Die Bonner Maladie, das ist ein Geschimpfe auf das jetzt. Und auf die Zukunft. Denn seit 45 Jahren also versuchen die Bonner den Verlust der herrlichen Gründerzeithäuser am Bonner Loch wieder wettzumachen. “Oh, war Bonn damals schön”, klagen sie gemeinsam in einem gemütlich-melancholischen Biedermeiertum. Doch jeder Versuch, den Verlust dieser Häuser wirklich wettzumachen und das Loch mit Zukunft, mit etwas neuem zu füllen, wurde in den vergangenen Jahrzehnten mit dekadener Regelmäßigkeit zunichte gemacht.
Das, was die Leute da oben für uns geplant haben, ist nicht so schön wie das, was eigentlich kommen könnte, ja, müsste, schließlich sind wir, beziehungsweise später, waren wir Bundeshauptstadt!
Und so blieb das Bonner Loch bestehen. Die Diskussion kamen erneut erneut. Zuletzt jetzt, nachdem ein Investor es fertig brachte, die rund drei Dutzend Besitzer des Baus zum Verkauf zu bringen: “Was, ein Primark soll in einen seelenlosen Bau einziehen, der zwar tausend Mal besser ist als das, was da ist, aber immer noch hässlicher als das, was wir uns dort wünschen würden? Wir wollen keinen Primark! Dann behalten wir lieber unser Bonner Loch und empfangen Besucher mit unserer Herzlichkeit.” Sogar den Bundespräsidenten bringen wir dorthin, damit er es selbst einmal bewundern kann.
Und diese Bonner Krankheit, sie zeigt sich in jedem Punkt dieser Stadt, seit Jahren. Wir geben 100 Millionen Euro für eine Konzerthalle aus den 50er aus, damit diese genauso aussieht wie aus den 50ern und klingt wie in den 50ern, statt dass ein Konzern an der selben Stelle etwas neues errichtet, was deutlich weniger gekostet hätte. Und genauso wird es in drei Jahren mit der Bonner Oper kommen, dem nächsten maroden Altbau aus bundespolitischen Zeiten, den die Bonner nicht opfern möchten.
Auch die verkehrspolitisch muss alles beim alten bleiben: Cityring und Autos, Räder sind eher lästig, aber den Titel Fahrradhauptstadt haben wir uns schon einmal für 2020 verliehen. Fahrradstraßen und Busverkehr soll es nur da geben, wo es keinen Anwohner mit Auto stört. Oder Autofahrer generell.
Eine Seilbahn wird totgeredet, wie es bereits mit einem Reutertunnel passiert ist. Lieber will Bonn ein seit 10 Jahren geschlossenes, leerstehendes Viktoriabad behalten, als neues dort zu wagen. Weil man kein eigenes Konzept hatte, als es darauf ankam.
Apropos Bäder: Kaputte Franken- und Kurfürstenbäder sollen teuerst saniert werden, damit sie genauso aussehen wie zuvor und bieten wie zuvor. Statt ein Neu-Frankenbad zu planen. Oder ein neues Bad, dass sich eine Stadtinfrastruktur, die schon lange keine Hauptstadt mehr ist, auch leisten kann.
Bonn konserviert sein Provisorium, seine Vergangenheit, Hauptstadträuber Berlin lebt es. Das Freilichtmuseum hat schon überlegt, eine Außenstelle in der Bundesstadt zu errichten, das Bundesfreilichtmuseum, freilich mit viel Beethoven!
Denn Beethoven wird in der Stadt verklärt. Alles muss Beethoven sein, dabei verließ der Mann in jungen Jahren die Stadt und kam niemals wieder. Sein Jubiläum 2020 wird typisch Bönnsch gefeiert, nämlich unfertig. Die Bonner Maladie, sie hat dazu geführt, dass es kein fertiges und funktionierendes Konzerthaus geben wird, dass den Bonner Ansprüchen genügt.
Ich als Bonner finde das beschämend. Ich als Bonner möchte in einer Stadt leben, die sich bewusst ist, was sie alles hat. Von Kirschbäumen über prächtige Kirchen bis hin zu einem kulturellen Leben, mit dem sie selbstbewusst prahlt, oder nonchalant punktet. Mit Alleen und ohne Diskussionen über das Pro vom illegalen Parken in zweiter Reihe, wie es an der Reuterstraße geschieht. Weil man dort ja schon immer in zweiter Reihe geparkt hat.
Leben in einer Stadt, die weiß, was sie hat, und wohin sie will. Die nicht verharrt und verzagt. Sondern die stolzen Schritts einen Weg findet, in die Zukunft. Die sich selbst wieder etwas wert ist.
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